Dienstag, 21. Mai 2013

bekannt aus der werbung

Wenn man in ein Programmkino geht und dort ein paar Trailer sieht, könnte man auf die Idee kommen, dass die europäische, vor allem französische, Filmindustrie, zumindest soweit sie für den Export nach Deutschland arbeitet, ein Publikum bedient, das zum größten Teil aus Lehrerehepaaren, auf jeden Fall aber aus mittelschichtigen BildungsbürgerInnen besteht. Formelhafte, irgendwie immer gleiche Familien-, Bildungs- und Inklusionsthemen werden vor Kulissen abgehandelt, wo durchschnittliche deutsche Jack-Wolfskin-KundInnen gerne Urlaub machen würden. Ich finde das meistens furchtbar, auch wenn es handwerklich gut gemacht ist.
Vorgestern habe ich »Ziemlich beste Freunde« gesehen, ein Film, der diese Formel einerseits perfekt umsetzt, andererseits aber auch drastisch bricht. Bezeichnend eine Szene, in der ein Orchester ein privates Wunschkonzert für den schwerreichen Querschnittsgelähmten und seinen senegalesischen Pfleger aus der Banlieue gibt, mit der ersterer letzteren von den Qualitäten der »klassischen« Musik begeistern will. Natürlich beginnt das mit einem Satz aus einer von Vivaldis »Vier Jahreszeiten«, und man weiß auch schon, wie es jetzt eigentlich weitergehen müsste: der ungehobelte Klotz wird von Ehrfurcht gepackt, ein neues Verständnis glimmt in seinen Augen auf, eine Bildungsgeschichte beginnt.
Statt dessen passiert hier das Gegenteil; Driss, der Pfleger, bleibt unbeeindruckt und spottet weiter, der Millionär lässt das Orchester ein Stück nach dem anderen spielen, und spätestens wenn Driss anmerkt, dass er eines der Stücke aus einer Bach-Cellosuite »aus der Werbung« kennt und kurz darauf die als Nokia-Klingelton bekannt gewordene Badinerie aus BWV 1067 folgt, wird einem klar, dass der Film hier mit den Erwartungen und dem Horizont seines öffentlich-rechtlichen Publikums spielt. Denn eben weil dieses nur einige wenige Stücke aus der »Klassik« kennt, aber, wenn so etwas vorkommt, unbedingt die eigene Bildung durch deren Wiedererkennen bestätigt haben möchte, müssen es genau die sein, die hier vorkommen. Aber der Punkt, an dem irgend jemand im Film oder im Publikum irgend etwas lernt, ist erst erreicht, als die Klassikradio-Musik aufhört und man in einer Einstellung ganz kurz sehen kann, dass das Orchester bei »Boogie Wonderland« mitspielt.

1 Kommentar:

  1. Ich habe Links zu diesem Post. Du bist ein Mensch, aber mit besonderen Kennzeichen; sogar Experte in Zeichen und dreistelligen Relationen. Born somewhere near Körborn, where I recently spent a good night near an alarm clock after a lot of Grafenwalder Aldi's beer. Was hältst du von dem Slogan für einen Gemischtwarenladen Asi: "Asi. Wo die Scheiße zum einen Kaufen geht."? Georg

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