Sonntag, 17. April 2011

aus aktuellem anlass

Ich will es schon seit Jahren loswerden und finde keine Worte: Die ganze deutschsprachige »Internetgemeinde«, »Blogosphäre«, »digitale Gesellschaft«, »digitale Bohème«, wie auch immer man diese Leute nennen will, geht mir furchtbar auf die Nerven. Dabei kann ich den Finger nicht so richtig darauf legen, was mich eigentlich stört, weil es mehr die Art des Auftretens ist als bestimmte Meinungen und Inhalte, aber eben nicht nur. Und ich befürchte, dass mindestens die Hälfte der Leute, die ich unter die bewusste Gruppe zähle, die mir furchtbar auf die Nerven geht, ihrerseits einmal geäußert haben, dass ihnen diese Gruppe furchtbar auf die Nerven geht, und ich nicht nur deswegen selbst zu ihnen gerechnet werden mag. Ich weiß nur: Wenn ich die Seite irgendeines »A-Bloggers« anklicke, einen Bericht von irgend einem »netzpolitisch« wichtigen Kongress oder sonst irgend etwas »Szeniges«, geht mir grundsätzlich erst einmal der Hut hoch. Warum ist das so?
Wahrscheinlich hat es denselben Grund, warum ich nie mit den 150prozentigen unter den Marburger Geisteswissenschaftlern klargekommen bin - die nervigen Leute im Netz sind irgendwie das digitale Äquivalent von Politologie- und Soziologiestudenten mit Hang zur kritischen Theorie und zu filterlosen Selbstgedrehten, die mit Cordsakko, Arbeitermütze und Gegen-Studiengebühren-Buttons zu venezolanischem Kampfska in selbstverwalteten Kulturzentren herumhüpfen (und bevor jemand fragt: mir ist klar, dass das ein konstruiertes Feindbild ist, aber wer Marburg kennt, weiß, dass es sinnvoll ist, mit diesem Konstrukt zu arbeiten). Die politischen Ähnlichkeiten halten sich dabei schwer in Grenzen, die Netz-Szeneleute tendieren im Großen und Ganzen nicht dazu, sich auf Benjamin und Adorno zu beziehen oder überhaupt auf irgendwelche Theoretiker, die in soziologischen Seminaren vorkommen. Was ist jetzt also der gemeinsame Nenner?
Ich habe mich neulich in München mit einem alten Freund darüber unterhalten, welche Arten von Philosophiestudierenden und sonstigen Philosophieinteressierten wir nicht mögen, und ich glaube, dass ich damit die Antwort habe. Aus irgend einem Grund erwarte ich von den Netzleuten, genau wie ich es früher von den Studenten erwartet habe, einen akademisch-bildungsbürgerlichen Habitus, der sich durch Distanz, Abgeklärtheit, wissenschaftliches Handwerksethos, Trendresistenz und eine gewisse Trockenheit auszeichnet, und bin enttäuscht und verärgert, wenn sie nicht so drauf sind, wie ich das gerne hätte. Die spannenden Fragen sind dabei ad 1), ob diese Erwartungshaltung gegenüber Akademikern durch meine ProfessorInnen und DozentInnen geprägt worden ist oder auf meinem eigenen Mist gewachsen ist, und ad 2), warum ich überhaupt Bloggern und Netzpolitikern in Bausch und Bogen unterstelle, dass sie sich zu benehmen hätten wie Akademiker.
Bei alledem glaube ich, dass dieser mein eigener Dünkel immer noch weniger schlimm ist als die meisten anderen Formen von Dünkel, die es so gibt, aber das ist in sich auch wieder eine dünkelhafte Annahme.

3 Kommentare:

  1. Publikumsbeschimpfung? Das Feindbild welches du beschreibst ist doch nicht mehr als die inversion des eigenen Habitus (den du dir selbst zuschreibst). Aber ist dieser Anspruch an akademischen in blogosphärischen Habitus noch genauso 150%ig? So spießig bist du doch gar nicht...

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  2. Ich bin außerordentlich spießig! Aber was du mit »Inversion des eigenen Habitus« meinst, ist mir nicht ganz klar, ich sehe da keinen diametralen Gegensatz, sondern nur kleine Unterschiede (pun intended).

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  3. Ich kenne ähnliche Klientel auch in Tübingen, also die linken Skahüpfer, die Du hier so schön überzeichnest. Vermutlich steckt das in jedem von uns. Nur gibt es eben den Filter der Besonnenheit, was Du als Distanz beschreibst. Den Abstand, die Einsicht, das man vieles auch anders sehen könnte. Es ist vielleicht auch ein zeitlicher Abstand, und bei einem von vielen als spontanes Medium benutztes Ding wie Blogs schwappt dann auch viel roter Kopf in den Text. Eben so wie am Stammtisch, wo sich die Leute im Suff auch nicht überlegen, ob sie das nun so sagen sollen oder nicht.

    Bei den linksquerfeministischveganen Superaktivisten hab ich noch keine Idee, was da gelaufen sein könnte. Die sind mir meist zu intolerant, als dass ich mit ihnen diskutieren möchte.

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