Anfang letzten Jahres habe ich mir nach langer Abstinenz (de facto bin ich von Herbst 2002 bis Ende 2010 nicht mehr nennenswert gefahren) bekanntlich ein Fahrrad gekauft. Es handelt sich bei diesem Fahrrad um ein Diamant Saphir 24/7, Modelljahr 2010. Im Prinzip ist das ein Hollandrad, das sich als Mountainbike verkleidet hat: Bleischwer, leicht geschwungener Lenker, Acht-Gang-Nabenschaltung, Trommelbremsen (»Rollerbrakes«), Vollkettenschutz, Schutzbleche, Nabendynamo, Rückleuchte mit Standlicht, im Rahmen verlegte Züge und Kabel; aber das Ganze mit einem sportlichen Diamantrahmen in todschickem Mattschwarz.
Ich liebe dieses Rad über alles und habe mich binnen kürzester Zeit in einen überzeugten Radfahrer verwandelt. Ich fahre mit dem Ding immer und überall hin und öfters auch mal aus Spaß größere Strecken.
Das zog Investitionen nach sich: da ich als ziemlicher Sportverächter vor Februar 2011 noch nicht einmal ein atmungsaktives T-Shirt besessen habe, geschweige denn eine winddichte Jacke, habe ich mittlerweile annähernd genauso viel, wie das Rad gekostet hat, noch einmal in Kleidung gesteckt. Die kann ich allerdings zum größten Teil auch anderweitig anziehen (mehr dazu unten), nicht nur zum Radfahren. (Was toll ist: es gibt mittlerweile Radhosen, die sozusagen als Innenleben in eine gewöhnliche lange oder kurze Hose eingeknöpft sind, so dass man, hochprofessionell und gegebenenfalls nur durch eine dünne Schicht Sitzcreme vom High-Tech-Gewebe getrennt, in einer engen und dick gepolsterten Hose durchs Gelände sausen kann, aber trotzdem von außen nicht aussieht wie ein Vollhonk.)
Die Anziehsachen sind aber nur ein Posten. Da der Keller unseres Hauses feucht ist und ich keine Lust habe, das Rad ständig über Treppen zu tragen, steht es immer draußen im Ständer, es ist noch nicht einmal überdacht, und nachts ziehen regelmäßig Horden fragwürdig beleumundeter Jugendlicher an ihm vorbei. Um mein Gewissen zu beruhigen, habe ich es daher versichert (gegen Diebstahl, Unfall und Vandalismus), und als Bedingung dieser Versicherung musste ein fettes Schloss her. Unter anderem wegen des ständigen Draußenstehens gebe ich mir große Mühe mit der Pflege und habe deswegen diverses Werkzeug, Reinigungs- und Schmiermittel angeschafft, sowie natürlich eine ordentliche Standpumpe und eine niedliche kleine Handpumpe. Ich kann mittlerweile Schläuche flicken und wechseln, Rollenbremsen schmieren, Ketten spannen und wechseln, Speichen nachspannen, Züge einstellen, Lackkratzer mit Wachskreide abdecken, verrostete Schrauben mit Rostumwandler betupfen und so weiter und so fort, und kann mich schon wie ein Großer darüber mokieren, wie tief andere Leute ihre Sättel einstellen, wie wenig Luft sie in ihre Reifen tun und wie schlaff ihre Ketten durchhängen.
Damit sich der ganze Aufwand auch ganzjährig rentiert, sind dann noch dicke Handschuhe, eine ordentliche Fleecejacke (für unter die fette Regenjacke), Regenhosen, Regenüberschuhe und Spikereifen für den Winter dazugekommen, dazu eine Packtasche und eine (mittlerweile allerdings wieder demontierte, weil selten genutzte) Halterung für meinen Aktenkoffer. Und ein Tacho, wegen der Statistik (der relativ bald wieder durch einen Tacho mit Hintergrundbeleuchtung ersetzt wurde, man will ja auch nachts wissen, wie schnell man fährt).
Und bevor jemand unkt: Ich bin auch tatsächlich das gesamte Jahr durchgefahren, bei minus 15 Grad und bei plus 30 Grad. Ich habe meine gesamte Regenschutzkleidung gebraucht. Ich bin über unbefestigte Feldwege, Schotterpisten und mehrfach überfrorene vereiste Wege voller Spurrillen gefahren. Ich habe im Ebenen Spitzengeschwindigkeiten von über 45 km/h erreicht, was für ein zwanzig Kilo schweres Rad mit Acht-Gang-Nabe, Tourenlenker und untrainiertem Fahrer halbwegs achtbar ist. Ich bin mit dem Rad bei Dunkelheit und Kälte nach Frankfurt gefahren und habe mich derartig verfranst, dass ich am Ende 130 statt 90 Kilometer auf dem Tacho hatte. Beim Lernen, mit Klickschuhen zu fahren, bin ich ungefähr zehnmal saftig in Zeitlupe seitwärts umgefallen.
Was nicht so toll ist: das eigentlich auf Langlebigkeit und Wartungsarmut ausgelegte Rad hat ständig Wehwehchen, vielleicht vom Draußenstehen, vielleicht vom Allwetter- und Geländeeinsatz, vielleicht aus reinem Pech. Nach lediglich gut 4300 Kilometern hat es nun schon zwei Schaltzüge (einer davon eingefroren und deswegen beim Schalten abgerissen), eine Klingel, eine Kette, einen Tachokopf mit Halterung und ein, zwei Magneten, größere Mengen Lager- und Bremsenfett, einen Sattel und gefühlt ein halbes Dutzend Schläuche gefressen. Binnen zirka zweier Monate habe ich so ziemlich alle Fehlermodi erlebt, die Fahrradschläuche haben können, inklusive abgebrochenem Ventilkopf und nach einem Tag aufgeplatzten Flickstellen. Das mit dem Schläuchefressen ist jedoch glücklicherweise vorbei, seit ich gute - und teure - pannensichere Reifen drauf habe, made in Hesse übrigens. Zwei Speichenbrüche und eine lockere Lagerschale an der Getriebenabe hat es auch schon hinter sich, von diversen Achtern ganz zu schweigen. Derzeit wird das Vorderrad verarztet, bei dem der Fahrradmechaniker meines Vertrauens befürchtet, der Nabendynamo könnte schadhaft sein.
Zudem habe ich es mir nicht nehmen lassen, die abgenutzten Lenkergriffe durch bessere Griffe, den angebrochenen Sattel durch einen besseren Sattel, die verschlissenen Billigpedale durch Kombipedale (dafür mussten dann natürlich noch die genannten Klickschuhe gekauft werden) und vor allem die funzelige Halogenleuchte, nachdem das Lämpchen durchgebrannt war, durch einen LED-Scheinwerfer mit Standlicht zu ersetzen. Und ein extragroßer Flaschenhalter, in den man statt einer albernen Trinkflasche eine ganz normale PET-Sprudelflasche (oder auch eine Weinflasche, je nach Fahrtziel) hinein tun kann, war auch fällig.
Das ist aber noch längst nicht alles. Nach wenigen Monaten täglichen Radfahrens bemerkte ich unter der Dusche, dass meine vormals zerbrechlichen Akademikerbeine ungefähr doppelt so dick waren wie früher, was den weiterhin zerbrechlichen Oberkörper noch grotesk zerbrechlicher wirken ließ und allmählich Ausgleichsmaßnahmen einforderte. Ende vom Lied: Wegen des Fahrrads mache ich mittlerweile ein- bis zweimal die Woche Krafttraining und bin inzwischen so weit, dass ich fast drei richtige Klimmzüge hintereinander schaffe. Kostet natürlich auch wieder Geld. Nicht weiter zu erläuternde Komplikationen dieser ganzen Maßnahme haben mir außerdem eingehandelt, dass ich eine Zeitlang ein angeknackstes Zehengrundgelenk hatte sowie zwei Paar Sportschuhe besitze (früher: 0 Paar) und erstmals seit zehn Jahren wieder orthopädische Einlagen trage (kostet alles, richtig: Geld).
In summa lässt sich also sagen: das Fahrrad hat mein Leben vollständig verändert, es frisst mir die Haare vom Kopf, aber es teilt jeden meiner Tage und ich liebe jede Minute mit ihm; und Gerüchte, es verbringe das halbe Jahr in der Werkstatt, sind nun wirklich stark übertrieben.
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