Dienstag, 29. Januar 2013

aktenzeichen xy

In Deutschland herrscht längst (wieder) fällige Aufmerksamkeit für gewisse Alltagsprobleme in den hiesigen Geschlechterbeziehungen. Zu diesem Anlass hacke ich mal ein paar Überlegungen in die Tasten, die ich eigentlich schon seit Monaten mal notiert haben wollte.

1.
Ich hatte in meinem ganzen Leben nur für ungefähr vier Wochen einen Mann als »richtigen Chef« (in einem Ferienjob im Sommer 2000). Zwar habe ich zwei Semester als Lektürekursleiter beziehungsweise Tutor »unter« Männern gearbeitet, aber beiden war meine Tätigkeit nahezu völlig egal; auch ist der Chef des Hochschulrechenzentrums ein Mann, aber operativ hatte ich immer nur mit meiner Abteilungsleiterin zu tun. Alle meine direkt relevanten Vorgesetzten, im Museum, im Zivildienst, im Institut für Romanistik, in der Hochschulinformatik und bei der Deutschen Gesellschaft für Philosophie waren beziehungsweise sind Frauen, meine Magister- und Promotionsbetreuerin natürlich sowieso. Auch meine AnsprechpartnerInnen in der freiberuflichen Tätigkeit waren meistens, wenn auch nicht immer, Frauen.
Ich finde es großartig. Die Arbeitsatmosphäre war immer gut, mein Geschlecht oder das meiner Chefinnen war für sie oder mich nie ein Thema. Dass man sich drumherum gerne mal das Maul zerriss, ist mir natürlich durchaus aufgefallen.

2.
Ich bin ein Alltagssexist wie wir alle oder nahezu alle, die wir in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind (Frauen natürlich inklusive!). Obwohl ich mich ganz ehrlich und wirklich Frauen weder über- noch unterlegen fühle (früher war das anders!), merke ich doch regelmäßig, und zwar immer zu spät, dass ich mit einer Frau auf eine Weise umgesprungen bin, die ihr wahrscheinlich nicht zugesagt hat, oder dass mich eine Frau damit überrascht, etwas zu können, was mich bei einem Mann weniger überrascht hätte.
Auf ganz genau dieselbe Weise bin ich allerdings auch (wiederum: wie wir alle) Alltagsrassist und überhaupt Alltagskyriarch. Letztlich ist das unvermeidlich und auch nicht tragisch. Man muss sich deswegen genausowenig schuldig fühlen wie wegen der Kriegsverbrechen unserer Großväter. Es geht um Verantwortung und Bessermachen, nicht um Schuld oder Sühne.

3.
Ich bin in meinem erwachsenen Leben einmal wirklich und ein paarmal leicht belästigt worden, und das hatte niemals mit meinem Geschlecht zu tun, sondern jedes Mal mit meinem anderweitigen Habitus als leicht als solcher erkennbarer, langhaariger Student. Einmal habe ich mitbekommen, dass jemand von der Nachbarkabine der öffentlichen Toilette durch ein Loch zu mir hinüberschielt, aber das ist nun nicht besonders schlimm.
Ich kenne aber, um das etwas in Beziehung zu setzen, allein zwei Frauen persönlich, von denen ich weiß, dass sie in mehreren unabhängigen Fällen vergewaltigt worden sind.

4.
Ich habe selbst schon unter Alkoholeinfluss Dinge getan, die mindestens genauso wenig in Ordnung waren wie Brüderles Verhalten an der Bar, von meiner latent frauenfeindlichen Denke als nerdiges und nahezu jungfräuliches Erst- und Zweitsemester mal ganz abgesehen. Da ich begründet vermute, kontrollierter, reflektierter und auch schüchterner zu sein als der Durchschnitt, erlaube ich mir in der Verlängerung auch die Vermutung, dass die allermeisten Männer sich schon viel Schlimmeres erlaubt haben als ich. Diese Vermutung wird regelmäßig empirisch bestätigt, aber trotzdem glaube ich deswegen nicht, postgender zu sein.
Es hat sich übrigens fast niemals eine Frau beschwert, ich habe nie eine Ohrfeige oder ein Glas Wein ins Gesicht bekommen. Ich weiß trotzdem, dass es falsch war, weil ich kein komplett stumpfer Idiot bin.

5.
Ich habe nie einen zusammenhängenden feministischen Theorietext gelesen. Ich glaube weder an das generische Maskulinum noch an konsequent verwendete Beidformen. Ich kann kochen, Hemden bügeln, Dübellöcher bohren und Bremsklötze austauschen. Ich gebe mir Mühe und ich hoffe, dass es etwas bringt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich freue mich prinzipiell über jeden Kommentar, bitte aber um einen zivilisierten Ton und behalte mir vor, Kommentare ohne Angabe von Gründen abzulehnen oder auch nachträglich zu löschen.